Interview mit Frau Fonteyn und Ihrem Mann auf dem Friedhof bei den Kindergräbern

Interview Frau und Herr Fonteyn

Prolog

Am 8.03 erschien ein Artikel im Wiesbadner Kurier (Lena Kapp, 08.03.2023,Wenn Grabschmuck verschwindet, Wiesbadener Kurier, S.9), der sich mit einem Rätsel beschäftigte, was wir schon lange zu lösen versucht haben. Überschrieben mit: „Wenn Grabschmuck verschwindet“ behandelte er die Pflege der verwilderten Kindergräber auf dem Wiesbadner Nordfriedhof.

Über die überraschende Wiederauferstehung der verwahrlosten Kindergräber hatten wir auch schon im
Artikel „Spaziergang Mai 2021“ im Blog berichtet.

Das war nämlich tatsächlich etwas Besonders, Gräber die dem Verfall anheimgegeben waren, werden auf einmal herausgeputzt und erstrahlen in neuem Glanze. Wer macht so etwas und warum? Auf jeden Fall ein einmaliger Vorgang – den wir so noch nie beobachtet hatten. Normalerweise gibt es das nur bei Prominenten Gräbern.

In dem Artikel geht es letztendlich darum, dass es nicht möglich ist Gräber, ohne dass man das Grabrecht inne hat, zu pflegen. Eine spontane und eigenmächtige Pflege eines Grabes somit nicht möglich ist. Die Friedhofverwaltung hatte den von Frau und Herr Fonteyn für die Kindergräber verwendeten Grabschmuck entfernen lassen. Was Frau und Fonteyn so nicht hinnehmen wollten.

Über die Vermittlung von Kurier Redakteurin Lena Kapp (vielen Dank dafür!) konnte Wiesbaden Nordfriedhof.de Kontakt zu den Fonteyns aufnehmen und zu diesem Fall interviewen. Darauf hatten wir uns sehr gefreut, denn wir wollten schon immer die Menschen persönlich kennenlernen, die so engagiert und von sich aus in die Friedhofs- und Grabgestaltung eingegriffen haben.

Im Folgenden das Interview mit Frau und Herr Fonteyn.

Interview mit Frau Fonteyn und Ihrem Mann auf dem Friedhof bei den Kindergräbern

WN: Guten Tag Frau und Herr Fonteyn! Schön dass es mit dem Interview-Termin geklappt hat. Wenn Sie sich vielleicht als Erstes kurz vorstellen könnten und erzählen, wie sie zum Nordfriedhof gefunden haben und wie es zu Ihrem Engagement für die verwaisten Kindergräber kam?

FF: Aber sehr gerne! Ja also mein Name ist Fonteyn und wie man unschwer an meiner Sprache erkennen kann bin ich holländische Staatsagehörige. Ich lebe seit über 45 Jahren in Deutschland und war schon früher öfters auf diesem Friedhof unterwegs, als er noch nicht so heruntergekommen war.
Vor etwa vier Jahren  – als mein Mann noch in Kanada war – bin ich unten an der Friedhofsmauer  entlang gegangen und habe da sehr viele verwahrloste Gräber gesehen. Was mich daran eigentlich schockiert hat ist, was  über den Gräbern stand:  So zum Beispiel „Hier ruht in Frieden“ – das weiß ja kein Mensch, ob die so friedlich gegangen sind? Oder es steht da „Du bist unvergessen“ , „Wir werden immer bei Dir sein“  und was weiß ich, und wenn man dann sieht, wie die Gräber ausschauen, dann denke ich: nach 14 Tagen sind sie vergessen!

Dann zog es mich irgendwie in diese Ecke des Friedhofs. Zuerst sah ich die Statue und dann entdeckte ich die elf komplett verwahrlosten Kindergräber.

Ich habe keine Kinder, aber ich konnte nicht verstehen, wie man sein Kind dort beerdigen kann und sich dann nicht um das Grab kümmert. Natürlich ist es möglich, dass die Angehörigen damit abgeschlossen haben, aber ich weiß nicht?! – Also ich kam damit nicht klar und habe meinen Mann angerufen und wir haben uns darüber unterhalten. Und da hat er gesagt: „Weißt du was, wenn ich nach Deutschland komme – dann machen wir die Gräber!“ – und das haben wir dann auch so gemacht!

Erstmal haben wir die Gräber vom Unkraut befreit und dann im Laufe der nächsten Wochen Steinchen geholt, Umrandungen aufgestellt, kleine Figürchen gekauft und die kleinen Windräder aufgellt. So zwei drei Monate später kam ein junger Mann – vielleicht ein Friedhofsgärtner – zu uns und zeigte uns noch fünf oder sechs verwahrloste Kindergräber, die etwas weiter oben lagen. Die waren auch komplett verwahrlost und waren als Gräber gar nicht mehr erkennbar. Und dann sagte ich „Dann sind es jetzt 16“! Und dann haben wir 16 Gräber gepflegt und schön gemacht.

Wir kümmern uns nun schon seit circa 4 Jahren um die Kindergräber und haben eine schöne Zeit gehabt. Wir haben hier gesessen, „Picknick gemacht“ und die Gräber gepflegt.

Die ganze Zeit über ist nie etwas passiert, eher im Gegenteil. Öfters kamen mal Leute vorbei, die uns ihren Besen oder Schaufel geliehen haben oder sich anboten den Rasen zu schneiden. Was sie dann auch gemacht haben.  

Bis ich dann vor 6 Wochen  – nach dem Winter – hierher kam um mal nach dem Rechten zu schauen und mit dem Unkraut Jäten und Gras Schneiden anzufangen. Als ich dann bei den Gräbern ankam – war ich wie von Blitz getroffen, weil alles weg war!

WN: Was war weg?

FF: Die Umrandungen der Gräber waren entfernt worden, die Blumenvasen samt Blumen und die Kerzen, die ich aufgestellt hatte, waren ebenso wie die Windräder verschwunden. Wir hatten ein kleines Vogelhäuschen an einem Busch hinter den Gräbern befestigt und der Busch ist wohl geschnitten worden und seitdem ist das Vogelhäuschen auch verschwunden.  

Das Häuschen habe ich später noch gefunden. Es hängt jetzt an einem kleinen Baum da drüben.

WN: Der Grabschmuck, den sie aufgestellt hatten, ist von Ihnen ausgewählt worden, weil er kindgerecht war?

FF: Ja, wir sind bis nach Weiterstadt gefahren um den Grabschmuck einzukaufen. Ich bin wirklich sehr enttäuscht, dass jetzt alles weg ist und es geht mir dabei gar nicht um das Geld sondern um die Idee dahinter, dass die Kinder nicht vergessen werden. Dass die Kindergräber wieder wahrgenommen werden und sie wurden auch wieder gesehen.

Wenn hier eine Urnenbeisetzung war, dann haben sich die Leute auch die Kindergräber angeschaut – und darum ging es mir eigentlich.

Wissen Sie, ich komme aus Holland und da haben wir eine andere Kultur. Wenn du da sowas machen möchtest, dann ist das in Ordnung, da würde jetzt nicht jeder schreien „Da braucht man eine Genehmigung und Grabrecht und was weiß ich Alles“. In Holland denkt man da so etwas lockerer.

Auch die Ecke hier auf dem Friedhof – wir hatten das ja schön gemacht und nun ist es wieder verwahrlost, die Kinder werden jetzt wieder vergessen.

WM: Können Sie noch mal erzählen, was das Friedhofsamt eigentlich gesagt hat? Warum Sie die Gräber nicht pflegen dürfen?

FF:  Ja, also ich darf das nicht machen, weil ich kein Grabrecht habe. Ich habe dann gesagt, das versteh ich dann auch, ich verstehe nur nicht, warum eine Verwahrlosung mehr geschätzt wird als eine Pflege! Mein Mann und ich haben von uns aus bestimmt vier bis fünfhundert Euro in die Grabpflege gesteckt. Wie gesagt, um das Geld geht es uns nicht – das kam von Herzen und das Grabrecht interessierte uns an dieser Stelle nicht.  Um ehrlich zu sein ich wusste auch gar nicht, was das ist. Weil in Holland da kann man das schon machen. Wir haben ein Paar kennengelernt, die dort unten eine Patenschaft für das Grab mit dem wunderschönen weißen Engel übernommen haben, aber das mit der Patenschaft das kannten wir nicht.

Das Friedhofsamt hat einerseits durchaus Verständnis für unser Anliegen, anderseits aber meinen sie, „da könnte ja jeder kommen“ und Plastik Räder und was weiß ich aufstellen. Aber eigentlich müssen sie sich, solange es gepflegt ist, darum keine Sorgen machen. Also wir schauen schon auf die Umwelt!

WM: … man hätte ja – bevor alles abgeräumt wurde – mit Ihnen sprechen können..

FF: Ja,  sie hätten zum Beispiel einen  Zettel aufstellen können: „Wer pflegt die Gräber? Bitte melden!“
Dann hätte ich mich sofort gemeldet, aber ich habe ja nie was gehört.

WN: Nichtsdestotrotz, Sie haben auch viele positive Erfahrungen gemacht; so wenn Leute vorbeigekommen sind und gesagt haben „Schön dass Sie das machen“!

FF: Ja richtig! Wir haben ein älteres Ehepaar kennengelernt und einen Journalisten  – Herr Peschke – der auch eine Reportage über die Gräber gemacht hat. Den sehr schönen Trailer habe ich gesehen, den hatte er mir geschickt und er wollte mit mir auch über die neu angelegten Gräber reden. Aber ich musste ihm vor 6 Wochen sagen, „Jetzt brauchen sie nicht zu kommen – denn es ist wieder alles total verwahrlost, es ist alles abgeräumt worden“.

Ich habe auch selbst ein kleines Video gedreht, das zeigt was ich gemacht habe – Und dann haben sie auf einmal den Baum und ein paar andere Pflanzen weggehauen, die schönen  Farne sind auch weg!

WN: Im Moment ist es wohl so, dass sie den Friedhof tatsächlich aufräumen: Also sie entfernen die abgelaufenen Gräber und sie haben die Hecken stark zurückgeschnitten, was den Friedhof übersichtlicher macht. Das kann man bedauern – ich mag das Verwunschene lieber – aber auf der anderen Seite ist es auch richtig so, weil für viele Besucher*innen wird der Friedhof sonst zu unheimlich.

FF: Ja, ich denke, hier ist ja auch viel passiert mit Handtaschen Raub. Wir haben auch einen erwischt. Der hat mich da durch die Büsche angeguckt, da habe ich gesagt „Was ist los? Komm mal her!“  – da hat er gesagt, er würde „ein Grab suchen“. „Nee Freund, Du beobachtest mich schon seit einer Viertelstunde – denk dran ich habe dich gesehen!“  und dann ist mein Mann rum und dann ist er ganz schnell zu einem der Tore rausgelaufen.

Hier wurden ja sehr vielen Damen die Handtaschen geraubt. Wir haben auch mal eine Dame getroffen – die hatte dann zu uns gesagt „Da läuft die ganze Zeit jemand hinter mir her“, ob wir Sie zum Auto begleiten könnten? Das haben wir selbstverständlich gemacht.

WM: Es gab auch schon andere Diebstähle. Wenn Sie mal weiter nach oben gehen, da gab es eine Kapelle mit einem Kupferdach, das komplett geklaut wurde um das Kupfer zu verkaufen.

FF: Für sowas habe ich keine Worte. Auch den Grabschmuck wegklauen oder so, das verstehe ich nicht. Und außerdem bringt es Unglück. Die von der anderen Seite sind damit nicht glücklich!

WN: Das stimmt!

Also Sie werden sich morgen dann mit dem Friedhofsamt treffen und den Fall noch einmal diskutieren. Wenn ich das einschätzen darf, hängt sehr viel davon ab, wie sehr sich das Amt auf das Rechtliche zurückzieht – dann ist da wenig zu machen.

FF. Ja, dann wäre das für mich auch abgeharkt!

WN: Aber die Chancen  sind gut – dass wenn die Fläche zu einer Gedenkfläche umgewidmet wird …

FF: Mir wurde erzählt, dass sogar eine Kommission gebildet wurde und die sich damit beschäftigen werden. Das Gelände, auf dem sich die Kindergräber befinden, wird auf jeden Fall umgestaltet- aber wie genau das konnten sie noch nicht sagen. Aber ich bin mal gespannt, was morgen bei dem Gespräch herauskommt….

WM: Viele Friedhöfe haben ja mittlerweile extra ein Areal für Kindergräber, das haben wir in vielen anderen Städten gesehen – und der Südfriedhof hat das auch. Und vielleicht überlegt Wiesbaden ja – hier auch ein extra Areal für Kinder anzulegen. Oder ein Areal für die Ungeboren anzulegen – die Sternenkinder. Da werden auch oft Gedenksteine oder Ähnliches aufgestellt.  
Aber morgen werden Sie bestimmt mehr erfahren.

FF: Ja, in der Hoffnung dass alles gut wird. Von meiner Seite aus war es gut gemeint; wir „verdienen“ nichts dabei, ganz im Gegenteil: wir haben hier viel frische Luft und mein Mann und ich haben es genossen, es hat ein gutes Gefühl gegeben. Aber wie schon gesagt, ich bin sehr enttäuscht, dass man so etwas nicht darf – und wie das abgelaufen ist!

WM: Als wir das entdeckt hatten, waren auch wir sehr von der Neugestaltung der verwahrlosten Kindergräber beeindruckt – und freuen uns sehr Sie auch mal persönlich kennen gelernt zu haben.
Wir haben Sie wohl auch mal bei den Gräbern gesehen und uns gefragt ob Sie wohl die Leute sind, die die Kindergräber pflegen – sind dann aber weiter gegangen.

FF: Der Herr Peschke war auch mit seiner Frau unterwegs, er hatte eine Kamera dabei und fragte mich: „Ich wundere mich schon die ganze Zeit – liegen hier Kinder von Ihnen“? Ich sagte „Nein“!
„Wie, das machen sie freiwillig?!“ –  „Ja“ – „Wie kommen Sie denn dazu“? Und da habe ich Ihm auch die Geschichte erzählt. Wie kann es sein, dass man 16 Kinder vergisst?!

WM: Ja, die Gräber sind aufgegeben…, bei einem Grab da weiß ich, dass die Mutter dort drüben begraben liegt. Die Mutter war mit mir in der Schule gewesen … Ich denke, bei den Gräbern da gibt es keinen mehr, der die pflegt ….

FF: Ja, ich hätte es gerne gemacht – Aber gut, mal sehen was morgen bei dem Gespräch herauskommt.

 WM:  Herzlichen Dank für das Interview Frau und Herr Fonteyn!

Epilog

Das Treffen zwischen Frau und Herrn Fonteyn und dem Friedhofsamt ergab wohl, das die Gräber  – da deren Nutzungszeit abgelaufen ist –  weggeräumt werden und an der Stelle ein Gedenkplatz mit Rosen und einem Stein oder Schild errichtet wird. So bleiben die Kindergräber in Erinnerung.

Das finden eine sehr gelungene Lösung und gut für den Nordfriedhof und die Friedhofskultur.

Close Menu